Gedanken zu Ludwig van Beethoven’s „Waldstein“- Sonate op.53/ 1.Satz
Ruhe ist eine Illusion
Für mich ist bereits der Beginn der Sonate ein Hinweis auf die besondere Orchestralität dieses Werkes – beginnend bei den Repetitionen sind diese kein Themenmaterial per se, sondern die Vertonung eines Gefühlszustandes, innere Unruhe. Auch die kleinen Motiv-Fragmente, die über die weiterhin andauernden Repetitionen der linken Hand in der rechten Hand eingeworfen werden vermitteln das Gefühl von angerissenen, aufblitzenden Gedanken die im Kopf herumschwirren, plötzlich aufkommen und keinen Halt finden.
Allein die ersten beiden Takte stehen nicht für sich selbst sondern finden einen ersten Anhaltspunkt in der Auflösung von G-Dur in Takt 3, ebenso in der Parallelstelle von B-Dur nach F-Dur.
Der erste Versuch, diese unruhigen Gefühle zu fassen, ist der rhetorisch betonte Abgang nach c-Moll am Ende des ersten Blocks.
Gesteigert in beidhändigen Tremoli wird diese Unruhe durch die stetige Suche nach einem Grund, einem Auslöser, letztlich aber auch nach einem Ziel, welche nach den aufgeregt gesprochenen, ja fast rasenden Gedanken in den sechzehntel-Laufketten ihre Auflösung finden: In einer Art besänftigenden Erinnerung in E-Dur, die er dann immer weitergeführt und auftrödelt in seine einzelnen Bestandteile, Fahrt aufnimmt, Rhetorik in rechter und linker Hand ausbreitet und mit immer größer werdender, innerer Freude das Seitenthema in glitzernde, brillante Lichtspiele verwandelt. Er geht somit seiner Unruhe auf den Grund und zäumt den Beginn von hinten auf, was auch die Wiederholung des Anfangs erklärt, die man nun mit der Erfahrung der Auflösung seines Gefühlszustands hört.
Im Spiel äußert das sich für mich dahingehend, natürlich erst einmal in der Tempobezeichnung des ersten Satzes vor allem auf die Beifügung „con brio“
besonderen Wert zu legen, ein sehr wichtiges Detail für die musikalische Gestaltung, da sie mir als Interpreten vermittelt, die Musik immer fließen zu lassen und besonders nach vorn zu denken. Brio fasse ich hier als Hinweis auf inneren Esprit auf.
Die Durchführung bestätigt mich in dieser Auffassung, „brio“ als Hinweis auf einen stets weitertreibenden, nie stehenbleibenden Fluss , denn Beethoven greift hier auf die Themenfragmente der rechten Hand am Anfang zurück und vermehrt sie, reiht mehrere, modulierende, angerissene Gedanken aneinander und verleiht dieser Passage durch das durchgehende Tremolo der linken Hand noch mehr Aufgeregtheit, Rastlosigkeit, ebenso auch in den darauffolgenden Akkordbrechungen, die auf die Aufteilung des Seitenthemas in der Exposition hinweisen und auch diese in ihrer Unruhe steigern und mit großer rhetorischen Geste darauf beharren.
Der gesamte Satz geht in einem Durch, nur ein kurzes Innehalten, aber nicht Stehenbleiben erlebt man in der Seitenthematik, ansonsten ist es ein stetiges Aufbauen, ein freudvolles Suchen nach einem Urgefühl. Das erklärt für mich die Tonart C-Dur, etwas natürlich klärendes, etwas Universelles, etwas Reines- der Ursprung aller Entwicklung. Dazu fällt mir spontan der Beginn eines Gedichtes von Hölderlin ein:
Komm und besänftige mir, die du einst Elemente versöhntest,
Wonne der himmlischen Muse, das Chaos der Zeit,
Ordne den tobenden Kampf mit Friedenstönen des Himmels,
Bis in der sterblichen Brust sich das Entzweite vereint,
Bis der Menschen alte Natur, die ruhige, große,
Aus der gärenden Zeit mächtig und heiter sich hebt.